Ketogene Diät und sportliche Leistung – ein Blick auf die Wissenschaft
Die ketogene Diät ist in den letzten Jahren zu einem zentralen Thema in der Ernährungswissenschaft und im Sport geworden. Ursprünglich entwickelt, um medizinische Bedingungen wie Epilepsie zu behandeln, findet sie nun auch Anwendung bei Menschen, die Gewicht verlieren oder ihre sportliche Leistung optimieren möchten. Doch welche Rolle spielt diese Ernährungsform tatsächlich im Leistungssport? Das aktuelle Positionspapier der International Society of Sports Nutrition (ISSN) bietet eine umfassende Analyse dieser Frage (Leaf et al., 2024). In diesem Beitrag wird erläutert, welche Erkenntnisse das Papier liefert und welche praktischen Auswirkungen es auf den sportlichen Alltag und die Arbeit von Health Professionals hat.
Was ist eine ketogene Diät?
Eine ketogene Diät verändert grundlegend die Art und Weise, wie der Körper Energie produziert. Während in einer “normalen” Ernährung Kohlenhydrate die primäre Energiequelle sind, wird der Körper bei einer ketogenen Diät in den Zustand der Ketose versetzt, bei dem Fett als Hauptbrennstoff genutzt wird. Dies geschieht durch eine drastische Reduktion der Kohlenhydratzufuhr auf unter 50 Gramm pro Tag, was den Körper dazu zwingt, Ketonkörper in der Leber zu produzieren.
Diese Umstellung auf Fettverbrennung wird insbesondere für Ausdauersportarten oft als Vorteil angesehen, da die Fettspeicher des Körpers eine nahezu unbegrenzte Energiequelle darstellen. Es wird vermutet, dass gut angepasste AthletInnen während der Ketose effizienter auf Fett zurückgreifen und länger durchhalten können, ohne auf die begrenzten Kohlenhydratspeicher angewiesen zu sein. Doch welche Auswirkungen hat dieser Prozess wirklich auf die sportliche Leistung und die Körperzusammensetzung? Hier setzt das ISSN-Positionspapier an und liefert detaillierte Einblicke in die aktuellen Studien.
Die Wirkung der ketogenen Diät auf die Körperzusammensetzung
Viele AthletInnen sehen in der ketogenen Diät eine Möglichkeit, Fett zu verlieren und die Körperzusammensetzung zu verbessern. Doch wie wirkt sich diese Ernährungsform im Detail aus? Abbildung 1 verdeutlicht die Unterschiede in den Veränderungen der Körperzusammensetzung zwischen TeilnehmerInnen, die eine ketogene Diät verfolgen, und solchen in der Kontrollgruppe, die eine kohlenhydratreichere Ernährung befolgen.
Analyse der Daten:
- Körpermasse (a): TeilnehmerInnen, die eine ketogene Diät verfolgten, verloren tendenziell mehr Gewicht als diejenigen in der Kontrollgruppe, was auf den Fettverlust zurückzuführen ist.
- Fettfreie Masse (b): Eine große Herausforderung für AthletInnen, insbesondere Kraftsportler, ist der Erhalt der fettfreien Masse. Die Abbildung zeigt, dass in vielen Studien die fettfreie Masse bei der ketogenen Diät abnimmt – ein Faktor, den besonders TrainerInnen, ErnährungsberaterInnen und Health Professionals beachten sollten.
- Fettmasse (c) und Körperfett (d): Die ketogene Diät führt zu einem stärkeren Abbau von Fett, was sie bei Abnehmwilligen und AthletInnen, die ihr Körperfett reduzieren möchten, attraktiv macht.
Für Health Professionals ist es entscheidend zu wissen, dass die ketogene Diät zwar beim Fettverlust hilft, aber auch das Risiko eines Muskelabbaus besteht. Besonders bei AthletInnen, die Kraft und Muskelmasse aufbauen möchten, sollte dies berücksichtigt werden.
Leistungsfähigkeit
Die Auswirkungen der ketogenen Diät auf die sportliche Leistung sind ein umstrittenes Thema. Während sie die Fettverbrennung maximiert, stellt sich die Frage, ob dies auch für sportliche Höchstleistungen ausreichend ist.
Ein paar interessante Punkte stechen dabei hervor:
- Insgesamt zeigt sich, dass die Mehrheit der Studien entweder keine signifikanten Unterschiede in der Leistung zwischen den Gruppen oder eine Verschlechterung der Leistung bei den ketogen ernährten AthletInnen dokumentierte.
- Ein zentraler Punkt aus dem ISSN-Paper ist, dass von den 16 analysierten Studien acht Studien berichteten, dass die ketogene Diät die sportliche Leistung verschlechtert. Dies wurde besonders bei hochintensiven sportlichen Leistungen wie 10-km-Zeitläufen, Wingate-Tests (zur Bestimmung der anaeroben Leistungsfähigkeit) und Zeitintervalltests festgestellt.
- Vier der Studien, die negative Effekte zeigten, wurden bei AthletInnen unter kontrollierten Diät- und Trainingsbedingungen durchgeführt, was darauf hindeutet, dass die ketogene Diät insbesondere für hochintensive, kompetitive Athleten ungeeignet sein könnte.
- Sieben Studien zeigten keine signifikanten Unterschiede zwischen der ketogenen Diät und der Kontrollgruppe bei der Leistungssteigerung. Dies impliziert, dass die ketogene Diät bei einigen AthletInnen zumindest keinen direkten negativen Einfluss hatte, aber auch keine Leistungsverbesserungen bewirken konnte.
- Die Dauer der Studien scheint eine Rolle zu spielen. In einigen Studien, die länger als 10 Wochen dauerten, zeigten die AthletInnen, die sich ketogen ernährten, in bestimmten Leistungstests eine leichte Verbesserung, obwohl es auch hier nicht durchweg zu positiven Ergebnissen kam. Dies deutet darauf hin, dass eine längere Anpassungszeit für den Körper erforderlich sein könnte, um von einer ketogenen Diät in bestimmten Ausdauersportarten zu profitieren.
- Die Mehrheit der Studien (11 von 16) untersuchte ausschließlich männliche Teilnehmer, was bedeutet, dass die Ergebnisse nur eingeschränkt auf weibliche Athleten übertragbar sind. Dies ist eine bedeutende Einschränkung, da es bekannte geschlechtsspezifische Unterschiede im Energiestoffwechsel und in der Reaktion auf Diäten gibt. Beispielsweise könnten hormonelle Schwankungen bei Frauen die Reaktion auf eine ketogene Diät beeinflussen, insbesondere im Hinblick auf den Fettstoffwechsel und den Muskelaufbau. Auch Dr. Stacy Sims, eine führende Expertin für Frauengesundheit und Sporternährung, warnt davor, dass die ketogene Diät für weibliche Athletinnen besonders riskant sein kann. Sie betont, dass eine ketogene Ernährung bei Frauen zu chronischer Unterernährung, RED-S (Relative Energy Deficiency in Sport), verzögerter Regeneration und sogar zu Essstörungen führen kann.
Zusammengefasst wird in dem ISSN-Positionspapier also gezeigt, dass nur eine Studie einen signifikanten Vorteil für die ketogene Diätgruppe dokumentierte. In dieser Studie, die über einen Zeitraum von 12 Wochen durchgeführt wurde, verbesserten sich die AthletInnen der ketogenen Diät in einem 100-km-Zeitfahren, 3-minütigen PowerTest, sowie in einem 6-Sekunden-Sprinttest. Allerdings verlor diese Gruppe signifikant mehr Gewicht als die Kontrollgruppe, was möglicherweise die Leistungsergebnisse in relationierten Tests verfälschen könnte.
Der Energiehaushalt im Training
Die Frage nach der besten Energiequelle im Sport ist eng mit den physiologischen Energiesystemen verbunden, die der Körper nutzt. In Abbildung 2 wird die Rolle der verschiedenen Systeme während einer intensiven körperlichen Belastung verdeutlicht.
Energiequellen im Training:
- Das ATP-PCr-System: In den ersten Sekunden maximaler körperlicher Belastung, wie z.B. beim Sprint oder Gewichtheben, stellt das Adenosintriphosphat-Phosphokreatin-System (ATP-PCr-System) die schnell verfügbare Energie bereit. Es nutzt die im Muskel gespeicherten ATP- und Kreatinphosphatreserven, um explosionsartige Bewegungen zu ermöglichen. Dieses System ist extrem effizient, allerdings auch schnell erschöpft. Es kann nur für etwa 5 bis 10 Sekunden maximaler Belastung genutzt werden, bevor der Körper auf andere Energiesysteme zurückgreifen muss.
- Die Glykolyse: Sobald die ATP-Reserven aufgebraucht sind, übernimmt die Glykolyse die Energieversorgung. Dieser anaerobe Prozess baut Glukose aus den Glykogenspeichern des Körpers ab und liefert Energie für mittelfristige Belastungen, die zwischen 30 Sekunden und mehreren Minuten dauern. Die Glykolyse ist weniger effizient als das ATP-PCr-System und produziert Milchsäure (Laktat) als Nebenprodukt, was zu Muskelermüdung führen kann. Dennoch stellt sie eine essenzielle Energiequelle bei intensiven, aber nicht maximalen Belastungen dar, wie z.B. beim 400-Meter-Lauf oder hochintensivem Intervalltraining.
- Das aerobe System: Bei längeren, weniger intensiven Belastungen wie einem Marathonlauf oder einer ausgedehnten Fahrradtour aktiviert der Körper das aerobe Energiesystem. Dieses System nutzt sowohl Fette als auch Kohlenhydrate, um kontinuierlich Energie zu erzeugen. Die aerobe Energiegewinnung ist im Vergleich zu den anaeroben Systemen langsamer, dafür aber deutlich effizienter, da sie den Körper über lange Zeiträume hinweg mit Energie versorgen kann. Insbesondere bei Ausdauersportarten spielt das Fett als Hauptenergiequelle eine zentrale Rolle, da die Fettspeicher des Körpers nahezu unerschöpflich sind, während die Kohlenhydratspeicher begrenzt sind.
Die ketogene Diät maximiert also das aerobe System, da sie den Fettstoffwechsel fördert. Bei intensiven Belastungen, die schnelle Energie erfordern (z. B. Sprints, Gewichtheben), wird jedoch die Glykolyse eingeschränkt, da dem Körper Kohlenhydrate fehlen. Dies ist ein klarer Nachteil für AthletInnen, die in solchen Disziplinen tätig sind.
Ketose als biochemischer Prozess
Um die ketogene Diät vollständig zu verstehen, müssen die physiologischen Prozesse verstanden werden, welche während der Ketose im Körper ablaufen.
In der Leber werden verschiedene Substanzen wie Aminosäuren, Glykolyseprodukte (z.B. Pyruvat) und Fettsäuren in Acetyl-CoA umgewandelt. Normalerweise wird Acetyl-CoA in den Zitronensäurezyklus (TCA-Zyklus) eingeschleust. Dieser Zyklus nutzt Kohlenhydrate (in Form von Oxalacetat), um Acetyl-CoA weiterzuverarbeiten. Fehlen jedoch Kohlenhydrate, steht weniger Oxalacetat zur Verfügung, und Acetyl-CoA wird stattdessen für die Ketogenese verwendet.
1. Produktion von Ketonkörpern in der Leber:
- Acetyl-CoA wird in der Leber durch die Ketogenese in die Ketonkörper Acetoacetat und Beta-Hydroxybutyrat (βHB) umgewandelt.
- Dabei entsteht auch Aceton als Nebenprodukt, das entweder ausgeschieden oder weiter metabolisiert wird.
2. Transport und Nutzung der Ketonkörper:
- Die im Blut zirkulierenden Ketonkörper, hauptsächlich Acetoacetat und βHB, gelangen zu den peripheren Geweben wie den Muskeln und dem Gehirn.
- Dort werden die Ketonkörper durch verschiedene Umwandlungsprozesse wieder zu Acetyl-CoA abgebaut, welches dann in den TCA-Zyklus eintritt, um als Energiequelle genutzt zu werden.
3. Schlüsselrollen der Moleküle:
- β-Hydroxybutyrat (βHB) und Acetoacetat sind die wichtigsten Ketonkörper, die durch das Blut transportiert und als alternative Energiequelle in Geweben wie Muskeln und Gehirn eingesetzt werden.
- Sobald die Ketonkörper in diesen Geweben angekommen sind, wird Acetoacetat wieder zu Acetyl-CoA umgewandelt und kann in den TCA-Zyklus eintreten, um ATP zu produzieren, welches der Zelle Energie liefert.
Dieser biochemische Prozess der Ketogenese ist eine Überlebensstrategie des Körpers, die es ihm ermöglicht, auch bei Nahrungsknappheit oder stark kohlenhydratreduzierter Ernährung Energie bereitzustellen. Die Ketonkörper fungieren somit als alternative Brennstoffe, besonders für das Gehirn und die Muskeln, wenn Glukose nicht in ausreichender Menge zur Verfügung steht.
Was bedeutet das alles für Health Professionals?
Die Erkenntnisse aus dem ISSN-Positionspapier zeigen, dass die ketogene Diät in bestimmten Situationen von Vorteil sein könnte, aber nicht für jeden Sportler oder jede Situation geeignet ist.
Für AusdauersportlerInnen bietet die Ketose möglicherweise Vorteile, da sie die Fettverbrennung optimiert und den Körper für längere Zeit mit Energie versorgt. KraftsportlerInnen und AthletInnen, die in kurzen, intensiven Sportarten tätig sind, sollten hingegen eher auf eine kohlenhydratreiche Ernährung setzen, um ihre volle Leistung abrufen zu können.
In der Praxis bedeutet dies: Es gibt kein "one-diet fits all". Stattdessen sollten Health Professionals eng mit ihren PatientInnen oder KundInnen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass ihre Ernährung optimal auf die sportlichen Anforderungen abgestimmt ist. Dies kann eine ketogene Diät oder eine Strategie wie die periodisierte Ernährung sein, bei der an Trainingstagen mehr Kohlenhydrate und an Ruhetagen weniger konsumiert werden, um sowohl die Glykogenspeicher aufzufüllen als auch die Fettverbrennung zu fördern.
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Dr. Stacy S. (2021). Yes! You are an athlete. No! You shouldn’t practice Intermittent Fasting. Gefunden am 09.10.2024 unter https://www.drstacysims.com/blog/You_are_an_athlete_and_you_shouldn’t_practice_intermittent_fasting
Leaf, A., Rothschild, J. A., Sharpe, T. M., Sims, S. T., Macias, C. J., Futch, G. G., Roberts, M. D., Stout, J. R., Ormsbee, M. J., Aragon, A. A., Campbell, B. I., Arent, S. M., D'Agostino, D. P., Barrack, M. T., Kerksick, C. M., Kreider, R. B., Kalman, D. S., & Antonio, J. (2024). International society of sports nutrition position stand: ketogenic diets. Journal of the International Society of Sports Nutrition, 21(1), 2368167. https://doi.org/10.1080/15502783.2024.2368167