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Medizin
13. März 2025

Der Mythos vom „guten“ HDL – Warum hohe Werte nicht automatisch schützen

Lea Jäger
Thiemo Osterhaus

HDL ist kein einheitlicher Marker für Herzgesundheit, sondern seine Wirkung hängt von seiner Funktionalität und Qualität ab. In der modernen Lipidforschung wird immer deutlicher: Ein hoher HDL-Wert allein ist nicht zwangsläufig ein Zeichen für Schutz – in manchen Fällen kann er sogar schädlich sein. Doch bevor wir uns anschauen, warum das so ist, werfen wir zunächst einen Blick auf die Grundlagen und beantworten die Frage, was genau Lipoproteine überhaupt sind.

Was sind Lipoproteine?

Fette sind wasserunlöslich – und dennoch müssen Cholesterin und Triglyzeride durch den Blutkreislauf transportiert werden. Dies geschieht über Lipoproteine, spezialisierte Partikel, die Fette sicher durch den Körper schleusen.

Lipoproteine bestehen aus einer äußeren Proteinhülle (Apolipoproteine) und einer inneren Lipidschicht. Ihre Hauptaufgabe ist es, Cholesterin und Triglyzeride dorthin zu transportieren, wo sie benötigt werden – oder zur Leber zurückzubringen, um überschüssige Fette auszuscheiden.

Es gibt verschiedene Arten von Lipoproteinen, die sich in Dichte, Zusammensetzung und Funktion unterscheiden:

  • HDL (High-Density Lipoprotein) – oft als „gutes Cholesterin“ bezeichnet, transportiert überschüssiges Cholesterin zurück zur Leber.
  • LDL (Low-Density Lipoprotein) – oft als „schlechtes Cholesterin“ bekannt, bringt Cholesterin in die Gewebe, kann aber zur Plaquebildung in den Arterien beitragen.
  • VLDL & IDL (Very-Low & Intermediate-Density Lipoprotein) – Vorstufen von LDL, die Triglyzeride transportieren.
  • Lp(a) (Lipoprotein(a)) – genetischer Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

HDL ist nicht gleich HDL – Warum Funktion wichtiger ist als die Menge

Die klassische Messung von HDL-C im Blut bestimmt lediglich die Menge des HDL-Cholesterins, sagt aber nichts darüber aus, wie gut das HDL tatsächlich funktioniert. Entscheidend für seine gesundheitsfördernde Wirkung sind vielmehr:

1. Der Reverse Cholesterintransport (RCT)

Eine der Hauptaufgaben von HDL ist der Transport von überschüssigem Cholesterin aus den Gefäßen zur Leber, wo es ausgeschieden wird. Ein hoher HDL-Wert bedeutet jedoch nicht automatisch, dass dieser Prozess effizient abläuft. Einige Formen von HDL sind weniger effektiv in diesem Transport und können Cholesterin nur unzureichend aus den Arterien entfernen.

Die folgende Abbildung zeigt den Reverse Cholesterintransport, einen zentralen Mechanismus, durch den HDL Cholesterin aus peripheren Geweben zur Leber transportiert, wo es über die Galle ausgeschieden werden kann. Dabei sind verschiedene Enzyme und Lipoproteine beteiligt, die den Transport regulieren.

Abb.: Reverser Cholesterintransport (in Anlehnung an Spinas & Fischli, 2011)

2. Die antioxidative Kapazität

HDL schützt normalerweise vor oxidativen Schäden, indem es oxidiertes LDL (ox-LDL) neutralisiert. Doch wenn HDL durch Entzündungsprozesse oder metabolische Störungen verändert wird, verliert es diese Schutzfunktion – oder kann sogar selbst oxidativ wirken.

3. Die entzündungshemmende Wirkung

Gesundes HDL wirkt entzündungshemmend, während dysfunktionales HDL paradoxerweise eine entzündungsfördernde Wirkung entfalten kann. Studien zeigen, dass insbesondere Menschen mit chronischen Entzündungen, Insulinresistenz oder Adipositas häufig eine schlechtere HDL-Funktion aufweisen.

4. Die Struktur und Zusammensetzung von HDL

HDL ist kein einheitliches Molekül, sondern besteht aus verschiedenen Subtypen, die sich in Größe, Dichte und Funktion unterscheiden. Diese Subtypen beeinflussen den Cholesterinstoffwechsel unterschiedlich – einige wirken schützend, während andere weniger funktionell oder sogar potenziell schädlich sein können (Casula et al., 2021; Simha & Kudva, 2016; O’Donovan et al., 2017; Ormazabal et al., 2018).

Wichtig: Im Labor wird jedoch nur HDL-C bestimmt, dabei handelt es sich um die Gesamtmenge des HDL-gebundenen Cholesterins im Blut. Das Problem: Diese Messung gibt keinerlei Auskunft über die Qualität, Funktionalität oder die verschiedenen HDL-Subtypen.

Die folgende Tabelle zeigt die wesentlichen Unterschiede der HDL-Subtypen und ihre Funktionen im Körper.

Tab.: Wesentliche Unterschiede der HDL-Subtypen (eigene Darstellung)

Warum sehr hohe HDL-Werte problematisch sein können

Frühere Studien gingen davon aus, dass ein hoher HDL-Wert automatisch gesund ist (Kaur et al., 2014; Richardson et al., 2020). Doch neuere Erkenntnisse zeigen: Extrem hohe HDL-Werte (>100 mg/dl) können mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verbunden sein. Dafür gibt es mehrere Erklärungen:

  • Dysfunktionales HDL kann oxidativ oder pro-entzündlich wirken, insbesondere bei bestehenden Stoffwechselstörungen.
  • Sehr hohe HDL-Werte können mit Störungen im Cholesterintransport assoziiert sein, was dazu führen kann, dass sich schädliche Cholesterinmoleküle in den Gefäßen anlagern, statt abtransportiert zu werden.
  • Genetische Faktoren spielen eine Rolle: Es gibt bestimmte genetische Varianten, die zu einem hohen HDL-Spiegel führen, ohne dass dieser effektiv arbeitet.

Diese Erkenntnisse rücken HDL von einem einfachen „guten“ Cholesterin hin zu einem komplexeren Marker, dessen Funktion analysiert werden muss, statt nur den absoluten Wert zu betrachten (Barter et al., 2007; Rader & Hovingh, 2014).

Was bedeutet das für die Praxis?

Die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass die alleinige Bestimmung von LDL und HDL nicht mehr ausreichend ist, um das kardiovaskuläre Risiko realistisch einzuschätzen. Während LDL weiterhin ein entscheidender Risikofaktor bleibt, sollte neben HDL insbesondere auch Apolipoprotein B (ApoB) und Lipoprotein(a) (Lp(a)) bestimmt werden.

  • ApoB: Dieser Marker gibt Aufschluss über die tatsächliche Anzahl der atherogenen Lipoproteine (LDL, VLDL, IDL) und ist damit eine genauere Messgröße für das kardiovaskuläre Risiko als LDL allein.
  • Lp(a): Dieses genetisch bedingte Lipoprotein ist ein unabhängiger Risikofaktor für Atherosklerose und Herzinfarkt – selbst bei normalen LDL-Werten kann ein erhöhter Lp(a)-Spiegel die Gefahr für Gefäßkrankheiten drastisch erhöhen.

Praktische Relevanz für Health Professionals:

  • Nicht allein auf HDL als Marker für Herzgesundheit verlassen – funktionelle HDL-Tests sind noch nicht etabliert, daher sollten weitere Parameter berücksichtigt werden.
  • ApoB und Lp(a) in der Diagnostik ergänzen, um ein präziseres Bild der tatsächlichen kardiovaskulären Gefährdung zu erhalten.
  • Entzündungsmarker (z. B. hsCRP) zusätzlich bestimmen, da chronische Entzündungen HDL dysfunktional machen können.

Fazit: HDL allein ist kein Schutz, sondern ein komplexer Marker

Die Vorstellung vom „guten HDL“ ist wissenschaftlich nicht mehr haltbar. Ein hoher HDL-Wert schützt nicht automatisch, sondern kann in bestimmten Fällen sogar mit einem höheren kardiovaskulären Risiko verbunden sein. Entscheidend ist die Funktionalität von HDL, die mit den derzeitigen Standardtests jedoch nicht erfasst wird.

Für eine fundierte kardiovaskuläre Risikoeinschätzung müssen daher neben LDL und HDL auch ApoB und Lp(a) bestimmt werden, um das tatsächliche Gefährdungspotenzial eines Patienten realistisch einzuschätzen.

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Als visionärer Gründer von Medletics vereint Thiemo seine medizinische Expertise in der Funktionellen Medizin mit einer tiefgreifenden Dozentenerfahrung. Sein umfassendes Wissen, insbesondere in den Bereichen Prävention und Hormontherapie, ergänzt er durch seine wertvollen praktischen Erfahrungen aus seiner eigenen Praxis.

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Christian ist Teil unseres Research Teams und beschäftigt sich täglich mit wissenschaftlichen Arbeiten und Studien. Er interessiert sich für das „Warum“ – also die Argumentationskette - hinter den Dingen und bereitet aktuelle Daten für Trainer, Therapeuten und Ärzte so auf, dass ihnen der Transfer von der Wissenschaft in die Praxis gelingt.

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Quellen

Barter, P. J., Caulfield, M., Eriksson, M., Grundy, S. M., Kastelein, J. J., Komajda, M., Lopez-Sendon, J., Mosca, L., Tardif, J. C., Waters, D. D., Shear, C. L., Revkin, J. H., Buhr, K. A., Fisher, M. R., Tall, A. R., Brewer, B., & ILLUMINATE Investigators (2007). Effects of torcetrapib in patients at high risk for coronary events. The New England journal of medicine, 357(21), 2109–2122. 10.1056/NEJMoa0706628

Casula, M., Colpani, O., Xie, S., Catapano, A. L., & Baragetti, A. (2021). HDL in Atherosclerotic Cardiovascular Disease: In Search of a Role. Cells, 10(8), 1869. 10.3390/cells10081869

Kaur, N., Pandey, A., Negi, H., Shafiq, N., Reddy, S., Kaur, H., Chadha, N., & Malhotra, S. (2014). Effect of HDL-Raising Drugs on Cardiovascular Outcomes: A Systematic Review and Meta-Regression. PLoS ONE, 9(4), e94585.10.1371/journal.pone.0094585

O’Donovan, G., Stensel, D., Hamer, M., & Stamatakis, E. (2017). The association between leisure-time physical activity, low HDL-cholesterol and mortality in a pooled analysis of nine population-based cohorts. European Journal of Epidemiology, 32(7), 559–566. 10.1007/s10654-017-0280-9

Ormazabal, V., Nair, S., Elfeky, O., Aguayo, C., Salomon, C., & Zuñiga, F. A. (2018). Association between insulin resistance and the development of cardiovascular disease. Cardiovascular Diabetology, 17(1), 122. 10.1186/s12933-018-0762-4

Richardson, T. G., Sanderson, E., Palmer, T. M., Ala-Korpela, M., Ference, B. A., Davey Smith, G., & Holmes, M. V. (2020). Evaluating the relationship between circulating lipoprotein lipids and apolipoproteins with risk of coronary heart disease: A multivariable Mendelian randomisation analysis. PLOS Medicine, 17(3), e1003062. 10.1371/journal.pmed.1003062

Rader, D. J., & Hovingh, G. K. (2014). HDL and cardiovascular disease. Lancet (London, England), 384(9943), 618–625. 10.1016/S0140-6736(14)61217-4

Simha, V., & Kudva, Y. C. (2016). HDL Cholesterol Story Is Dead: Long Live HDL! Diabetes, 65(10), 2826–2828. 10.2337/dbi16-0039

Spinas, C., & Frölich, S. (2011). Endokrinologie und Stoffwechsel kompakt (2. Auflage). Georg Thieme Verlag

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