Non-specific Low Back Pain: Warum ein ganzheitlicher Ansatz entscheidend sein könnte!
„Low back pain is a symptom rather than a disease.“ (Maher et al., 2017) Der unspezifische, untere Rückenschmerz (in der Literatur meist als Non-specific Low Back Pain bezeichnet) ist ein weit verbreitetes Beschwerdebild, die Menschen weltweit betrifft. Im Jahr 2020 waren weltweit 619 Millionen Menschen von Rückenschmerzen im unteren Bereich betroffen, und es wird geschätzt, dass die Anzahl der Fälle bis 2050 auf 843 Millionen ansteigen wird (GBD 2021 Low Back Pain Collaborators, 2023).
Obwohl NSLBP weit verbreitet ist, stellt er in Diagnostik und Therapie häufige eine Herausforderung für Health Professionals dar. Dieser Blickwinkel wurde von Maher et al. in ihrer Publikation von 2017 hervorgehoben. Sie wiesen darauf hin, dass NSLBP nicht als isoliertes medizinisches Problem betrachtet werden sollte, sondern vielmehr als ein komplexes Symptom, das eine sorgfältige Evaluation und differenzierte Behandlung erfordert. In diesem Artikel wird die Bedeutung dieser Perspektive genauer erläutert und die aktuelle Studienlage zur Rolle eines ganzheitlichen Therapieansatzes aufgearbeitet.
Ätiologie & Diagnostik
Zu Beginn ist es wichtig die Begrifflichkeit Non-specific Low Back Pain genauer zu definieren und von anderen Arten des unteren Rückenschmerz abzugrenzen. Tritt innerhalb der Strukturen des unteren Rückens wie beispielsweise der Bandscheibe eine Pathophysiologie auf, spricht man bei Low Back Pain von einer strukturellen Ursache. Diese genannten strukturellen Ursachen betreffen jedoch nur 10 % der PatientInnen. Im Gegenzug dazu sind 90–95 % der Schmerzen des unteren Rückens unspezifischer Natur (Bardin, 2017). Diese Art des Rückenschmerzes wird in Literatur und Klinik als Non-specific Low Back Pain klassifiziert und bezeichnet somit Schmerzen im unteren Rückenbereich, die keine spezifische zugrunde liegende Ursache wie Verletzungen, strukturelle Anomalien oder Krankheiten aufweisen (Bardin, 2017; Savigny et al., 2009).
Während eine Definition des Beschwerdebilds NSLPB somit klar festgelegt werden kann, gibt es laut vorliegender Studienlage keine eindeutige Ursache, die die Entstehung von NSLBP bedingt. Wie in der unten aufgeführten Grafik ersichtlich, können mehrere Risikofaktoren zur Entstehung von NSLBP beitragen, jedoch ist nicht klar, welcher Faktor ausschlaggebend ist. Faktoren wie die Lebensqualität, das soziale Umfeld und die Tendenz zu chronischen Erkrankungen erscheinen jedoch laut aktuellen Daten am bedeutendsten (Niederer & Banzer, 2017).
Das therapeutische Vorgehen von Health Professionals stellt durch die geringe Greifbarkeit der Diagnose und das komplexe Zusammenspiel verschiedener möglicher ursächlicher Faktoren eine Herausforderung dar. Basis für jegliche therapeutische Handlung sollte eine ganzheitliche und multidisziplinäre Diagnostik sein. Grundsätzlich gilt es, primär differenzialdiagnostisch jeglichen strukturellen Befund, der im plausiblen Kontext zur Symptomatik steht, auszuschließen.
Da es hierbei, wie vorab beschrieben, nicht nur physiologische Pathomechanismen abzuklären gilt, ist als Teil einer ganzheitlichen Anamnese auch die Beurteilung der psychosozialen Faktoren von großer Bedeutung. Die Verbesserung individuell relevanter psychosozialer Faktoren stellt dann auch einen bedeutenden Schritt in der Therapie dar.
Gestaltung eines ganzheitlichen Therapieansatzes
Wie soeben betont, sollte die psychosoziale Betreuung einen hohen Stellenwert des multidimensionalen Ansatzes zur Behandlung von unspezifischen Rückenschmerzen (NSLPB) genießen. Diese kann und sollte abhängig vom individuellen Patientenfall eine Zusammenarbeit verschiedener Health Professionals wie etwa ÄrztInnen, SportwissenschaftlerInnen, PhysiotherapeutInnen und PsychologInnen umfassen.
Eine Studie von Krenn et al. (2020) untersuchte zehn Richtlinien, die zwischen 2013 und 2020 veröffentlicht wurden, und fand heraus, dass aktuell aufgrund spezifischer Empfehlungen (wie beispielsweise die isolierte Beurteilung eines bestimmten Medikamentes) und die hohe Anzahl an nicht verwertbaren Empfehlungen durch geringe qualitative Evidenz keine klare Empfehlung für die Therapie von NSLPB gegeben werden kann.
Daten zu trainingstherapeutischen Therapien bei NSLBP stellen sich jedoch als sehr vielversprechend dar. Eine Meta-Analyse von Owen et al. aus dem Jahr 2019, die sich auf trainingstherapeutische Interventionen konzentrierte, ergab, dass aktives Training effektiver zu sein scheint als passive Therapien wie Hands-on Behandlungen. Dabei wurden Pilates, Krafttraining, Ausdauertraining und Rumpfstabilisierung als besonders wirksam erachtet.
Diese Erkenntnisse zu Training von Owen et al. konkretisierten Fleckenstein und Kollegen im Jahre 2022 innerhalb eines Systematic Reviews. Zudem bezogen sie die psychologischen Komponente als Intervention mit ein. Ihre Arbeit zeigte, dass die Einschränkung und Schmerzsensitivität, die durch eine unspezifischen Rückenschmerz verursacht werden, mithilfe einer kombinierten Therapie aus psychologischen Interventionen und Trainingstherapie eine effektive Therapie bei NSLBP darstellen zu scheint. Die psychologische Intervention beinhaltete hierbei eine kognitive Verhaltenstherapie, die auf Grundlage des bio-psycho-sozialen Ansatzes durchgeführt wird. Der Review zeigte zudem auf, dass eine alleinige Therapie mittels Training nicht dieselben Effekte im Bezug auf Schmerzsensitivität und Einschränkung aufweisen zu scheint wie die Therapie, bei der auch psychologische Aspekte einbezogen werden (Fleckenstein et al., 2022).
Insgesamt verdeutlichen diese hier angeführten wissenschaftlichen Arbeiten einmal mehr die Bedeutung eines multidimensionalen Ansatzes zur Behandlung von unspezifischen Rückenschmerzen (NSLPB), der unter anderem sowohl aktive trainingstherapeutische als auch psychologische Maßnahmen beinhaltet.
Die Rolle von Ernährung und Nährstoffen
Der Gedanke einer multidimensionalen Therapie bei NSLP kann nicht nur hinsichtlich Interventionen zur Verbesserung der mentalen Gesundheit fortgeführt werden, sondern auch die Ernährung sollte im ganzheitlichen Kontext erwähnt werden.
Erhöhte Konzentrationen entzündungsfördernder Mediatoren, wie unter anderem Zytokine, Interleukine und TNF-α, können im Körper eine Rolle bei der Pathogenese chronischer NSLBP spielen (Philpot & Johnson, 2019; Teodorczyk-Injeyan et al., 2019). Aktuelle Daten geben Hinweise darauf, dass eine ausgewogene Ernährung dabei helfen kann, die Entzündung zu reduzieren. Eine ausgewogene Ernährung wird in diesem Kontext als Verzehr von Lebensmitteln aus verschiedenen Nahrungsmittelgruppen wie Obst, Gemüse, Vollkornprodukte, Proteine, gesunde Fette und Milchprodukte oder alternative Calciumquellen definiert. Diese sollte auch die richtige Menge an Kalorien liefern, um den Energiebedarf des Körpers zu decken. Zudem kann eine ausgewogene Ernährung, die reich an Proteinen mit hoher biologischer Wertigkeit sowie essenzielle Mikronährstoffe wie Kalzium, Eisen, Zink, Cholin und Vitamin B12 ist, die Gesundheit von Knochen und Muskeln unterstützen. Dies könnte wiederum dazu beitragen, die Rückenschmerzen zu lindern (Pasdar et al., 2022).
Einige Daten bringen eine ungesunde Ernährung mit entzündungsfördernden Mediatoren wie erhöhten Spiegeln von Zytokinen, Interleukinen, C-reaktivem Protein (CRP) und Tumornekrosefaktor α (TNF-α) in Verbindung. Gerade Personen in unseren Breitengraden, die dazu tendieren, sich an die westliche Ernährung zu halten, die durch eine erhöhte Aufnahme von raffiniertem Getreide, rotem Fleisch, verarbeitetem Fleisch, gesättigten Fettsäuren, Transfettsäuren, zuckerhaltigen Lebensmitteln und Koffein gekennzeichnet ist, könnten von einer Ernährungsumstellung profitieren (Field et al., 2021; Torlak et al., 2022).
Diese Annahme wird von einer weiteren, kürzlich durchgeführte Übersichtsstudie gestützt, die zeigte, dass die Einhaltung der mediterranen und pflanzlichen Ernährung, insbesondere der Verzehr von Pflanzenölen wie Olivenöl, wirksam bei der Linderung von Schmerzen im Bewegungsapparat sein kann (Mendonça et al., 2020). Ein gesundes Ernährungsmuster könnte also Entzündungszustände des Körpers, die mit NSLBP in Verbindung gebracht werden können, mildern (Calle & Andersen, 2019; Pasdar et al., 2019). Zudem legen neue Daten nahe, dass bei PatientInnen mit Rückenschmerzen und unzureichenden Omega-3 Leveln (ein optimaler Omega-3 Index zwischen 8 und 11% wäre erstrebenswert) von einer Supplementation profitieren könnten (Zhou et al., 2022).
Auch die Rolle von Vitamin D und unter anderem Magnesium bei Rückenschmerzen sind aktuell Gegenstand der Forschung (Bahinipati & Mohapatra, 2020; Peck et al., 2021; Zadro et al., 2017). Die aktuell vorliegende Studienlage dazu ist jedoch limitiert und stellt sich als recht heterogen dar. Es bleibt abzuwarten, welche Ergebnisse weitere qualitativ hochwertige und aussagekräftigen Arbeiten zu diesem Thema hervorbringen werden.
Nichtsdestotrotz scheint es in der Praxis sinnvoll, bei der ganzheitlichen Betrachtung von Patienten mit NSLBP auch Ernährungsgewohnheiten zu erfassen und zudem mögliche Nährstoffmängel sowie Entzündungszustände diagnostisch miteinzubeziehen.
Diese können dann bei Bedarf im Rahmen eines ganzheitlichen Therapieansatzes individuell optimiert werden.
Die wichtigsten Take Aways für die Praxis
Abschließend ist es noch einmal von wichtiger Bedeutung zu betonen, dass PatientInnen mit unspezifischem unteren Rückenschmerz (NSLPB) eine umfassende Diagnostik erhalten sollten, die folgende Bausteine beinhalten könnte:
- Betrachtung des Bewegungsapparates,
- darüber hinaus auch Erfassung von Lebensstilfaktoren wie soziale Interaktion, Stress, Schlafmuster, Ernährungsgewohnheiten und körperliche Aktivität sowie
- Diagnostik von Biomarkern wie etwa Entzündungsparameter und Mikronährstoffe.
Eine solch ganzheitliche Diagnostik dient als Grundlage eines multidimensionalen Therapieansatzes, der dazu beitragen kann, die Behandlung von NSLPB-Patienten individuell zu optimieren, um langfristig gute Therapieerfolge zu erzielen.
Bahinipati, J., & Mohapatra, R. A. (2020). Serum Magnesium and Vitamin D in Patients Presenting to the Orthopedics Out-Patient Department with Chronic Low Back Pain. Biomedical and Pharmacology Journal, 13(1), 347–352.
Bardin, L. D., King, P., & Maher, C. G. (2017). Diagnostic triage for low back pain: A practical approach for primary care. The Medical Journal of Australia, 206(6), 268–273. https://doi.org/10.5694/mja16.00828
Calle, M. C., & Andersen, C. J. (2019). Assessment of Dietary Patterns Represents a Potential, Yet Variable, Measure of Inflammatory Status: A Review and Update. Disease Markers, 2019, 1–13. https://doi.org/10.1155/2019/3102870
Field, R., Pourkazemi, F., Turton, J., & Rooney, K. (2021). Dietary Interventions Are Beneficial for Patients with Chronic Pain: A Systematic Review with Meta-Analysis. Pain Medicine, 22(3), 694–714. https://doi.org/10.1093/pm/pnaa378
Fleckenstein, J., Floessel, P., Engel, T., Krempel, L., Stoll, J., Behrens, M., & Niederer, D. (2022). Individualized Exercise in Chronic Non-Specific Low Back Pain: A Systematic Review with Meta-Analysis on the Effects of Exercise Alone or in Combination with Psychological Interventions on Pain and Disability. The journal of pain, 23(11), 1856–1873. https://doi.org/10.1016/j.jpain.2022.07.005
GBD 2021 Low Back Pain Collaborators (2023). Global, regional, and national burden of low back pain, 1990-2020, its attributable risk factors, and projections to 2050: a systematic analysis of the Global Burden of Disease Study 2021. The Lancet. Rheumatology, 5(6), e316–e329. https://doi.org/10.1016/S2665-9913(23)00098-X
Krenn, C., Horvath, K., Jeitler, K., Zipp, C., Siebenhofer-Kroitzsch, A., & Semlitsch, T. (2020). Management of non-specific low back pain in primary care—A systematic overview of recommendations from international evidence-based guidelines. Primary Health Care Research & Development, 21, e64. https://doi.org/10.1017/S1463423620000626
Maher, C., Underwood, M., & Buchbinder, R. (2017). Non-specific low back pain. The Lancet, 389(10070), 736–747. https://doi.org/10.1016/S0140-6736(16)30970-9
Mendonça, C., Noll, M., Castro, M., & Silveira, E. (2020). Effects of Nutritional Interventions in the Control of Musculoskeletal Pain: An Integrative Review. Nutrients, 12(10), 3075. https://doi.org/10.3390/nu12103075
Niederer, D., & Banzer, W. (2017). Bewegung und unspezifische Rückenschmerzen. In W. Banzer (Hrsg.), Körperliche Aktivität und Gesundheit: Präventive und therapeutische Ansätze der Bewegungs- und Sportmedizin (S. 275–288). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-50335-5_19
Owen, P. J., Miller, C. T., Mundell, N. L., Verswijveren, S. J. J. M., Tagliaferri, S. D., Brisby, H., Bowe, S. J., & Belavy, D. L. (2020). Which specific modes of exercise training are most effective for treating low back pain? Network meta-analysis. British Journal of Sports Medicine, 54(21), 1279–1287. https://doi.org/10.1136/bjsports-2019-100886
Pasdar, Y., Hamzeh, B., Karimi, S., Moradi, S., Cheshmeh, S., Shamsi, M. B., & Najafi, F. (2022). Major dietary patterns in relation to chronic low back pain; a cross-sectional study from RaNCD cohort. Nutrition Journal, 21(1), 28. https://doi.org/10.1186/s12937-022-00780-2
Pasdar, Y., Moradi, S., Moludi, J., Darbandi, M., Niazi, P., Nachvak, S. M., & Abdollahzad, H. (2019). Risk of metabolic syndrome in non-alcoholic fatty liver disease patients. Mediterranean Journal of Nutrition and Metabolism, 12(4), 353–363. https://doi.org/10.3233/MNM-190290
Peck, J., Urits, I., Peoples, S., Foster, L., Malla, A., Berger, A. A., Cornett, E. M., Kassem, H., Herman, J., Kaye, A. D., & Viswanath, O. (2021). A Comprehensive Review of Over the Counter Treatment for Chronic Low Back Pain. Pain and Therapy, 10(1), 69–80. https://doi.org/10.1007/s40122-020-00209-w
Philpot, U., & Johnson, M. I. (2019). Diet therapy in the management of chronic pain: better diet less pain? Pain Management, 9(4), 335–338. https://doi.org/10.2217/pmt-2019-0014
Teodorczyk-Injeyan, J. A., Triano, J. J., & Injeyan, H. S. (2019). Nonspecific Low Back Pain. The Clinical Journal of Pain, 35(10), 818–825. https://doi.org/10.1097/AJP.0000000000000745
Torlak, M. S., Bagcaci, S., Akpinar, E., Okutan, O., Nazli, M. S., & Kuccukturk, S. (2022). The effect of intermittent diet and/or physical therapy in patients with chronic low back pain: A single-blinded randomized controlled trial. EXPLORE, 18(1), 76–81. https://doi.org/10.1016/j.explore.2020.08.003
Savigny, P., Watson, P., Underwood, M., & Guideline Development Group (2009). Early management of persistent non-specific low back pain: summary of NICE guidance. BMJ (Clinical research ed.), 338, b1805. https://doi.org/10.1136/bmj.b1805
Zadro, J., Shirley, D., Ferreira, M., Carvalho-Silva, A. P., Lamb, S. E., Cooper, C., & Ferreira, P. H. (2017). Mapping the Association between Vitamin D and Low Back Pain: A Systematic Review and Meta-Analysis of Observational Studies. Pain Physician, 20(7), 611–640.
Zhou, S., Zhu, G., Xu, Y., Gao, R., Li, H., Han, G., Su, W., & Wang, R. (2022). Mendelian Randomization Study on the Putative Causal Effects of Omega-3 Fatty Acids on Low Back Pain. Frontiers in Nutrition, 9. https://doi.org/10.3389/fnut.2022.819635