Macht Zucker wirklich krank und süchtig?
Um kaum ein Thema ranken sich so viele Mythen wie um Zucker: „Zucker ist weißes Gift.“, „Zucker macht dick.“, „Zucker ist die Ursache für Diabetes.“, „Zucker macht so süchtig wie Kokain.“ Bevor wir tiefer in die aktuelle Datenlage zu gesundheitlichen Effekten und Konsumemepfehlungen von Zucker eintauchen, stellen wir uns der Frage: „Was ist Zucker überhaupt?“
Zucker wird als eine Gruppe von Kohlenhydratverbindungen definiert, die aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff bestehen und eine charakteristische süße Geschmacksnote aufweisen. Grundsätzlich kann Zucker in verschiedene weitere Kategorien unterteilt werden.
Gemäß EFSA umfasst der Gesamtzucker alle Zucker in der Ernährung, einschließlich solcher, die von Natur aus in Obst, Gemüse und Milchprodukten enthalten sind. Auch freier Zucker (einschließlich zugesetztem Zucker) gehört dazu.
Der zugesetzte Zucker (raffinierte Zucker) wird Lebensmitteln während der Verarbeitung oder Herstellung hinzugefügt.
Laut DDG umfasst freier Zucker Mono- und Disaccharide, die Hersteller oder Verbraucher Lebensmitteln zusetzen, sowie den in Honig, Sirupen, Fruchtsaftkonzentraten und Fruchtsäften natürlich vorkommende Zucker. Mono- und Disaccharide, die natürlicherweise in intaktem Obst und Gemüse sowie Milch und Milchprodukten vorkommen, werden nicht berücksichtigt. Zum freien Zucker gehört also auch der zugesetzte Zucker.
Wie viel Zucker ist denn nun zu viel?
Eine Frage, die man so gar nicht pauschal beantworten kann.
Grundsätzlich wichtig zu wissen: Zur Aufnahme in Deutschland berichtet Statista, dass der Konsum, ausgehend vom Pro-Kopf-Verbrauch 2021/22 bei rund 95 g lag. Das bedeutet, dass in Deutschland pro Person durchschnittlich über 34 Kilogramm Zucker pro Jahr konsumiert werden. 2018 berichtete „Aktuelle Ernährungsmedizin” darüber, welche Quellen besonders zur Aufnahme beitragen: Süßwaren, Säfte, Nektare, Backwaren und Limonaden. Gerade gesüßte Getränke können sich als wahre Zuckerbomben entpuppen. Wer eine Portion (200 ml) eines solchen Getränks (Säfte, Nektare, Limonaden) zu sich nimmt, nimmt laut DDG 20-34 g freien Zucker zu sich.
Sieht man sich dann Empfehlungen verschiedenster Fachgesellschaften und Experten an, fällt auf, dass der Zuckerkonsum der Deutschen i. d. R. weit über empfohlenen Zufuhrmengen liegt.
Allgemein orientieren sich die Empfehlungen oft am freien Zucker und den Aussagen der WHO. Weniger als 10% (ca. 50 g oder grob eine Tafel Schokolade) der Gesamtenergie, um gegen Karies und Übergewicht anzugehen. Die DGE übernimmt in ihren Unterlagen die Empfehlung mit 2 Argumenten:
- Zum einen könne der Sättigungseffekt bei zuckerhaltigen Getränken ausbleiben und die positive Energiebilanz fördern. Daraus resultieren mehr Gewicht und Krankheitsrisiken.
- Des Weiteren würde eine zuckerreiche Ernährung womöglich nährstoffdichte Lebensmittel verdrängen. Dies wiederum fördert Nährstoffmängel.
Die Grenze von 5-10% basiert übrigens interessanterweise hauptsächlich auf Studien, die nahelegen, dass Zucker für Karies verantwortlich ist. Ein eindeutiger Konsens oder eine klare Empfehlung hinsichtlich Zuckerkonsum in aktuell vorliegenden Daten zu finden. Warum dem so ist, wird im Laufe dieses Artikels noch klar.
Die gesundheitlichen Effekte von Zucker
Im Researchprozess rund um Zucker sind vor allem zwei Dinge hervorgestochen: Für die Beurteilung von gesundheitlichen Effekten ist nicht nur die Zufuhrmenge entscheidend, sondern auch ob Zucker isokalorisch oder hyperkalorisch aufgenommen wird. Verschiedene Wissenschaftler und Experten wie J. Rippe oder A. Jeukendrup betonen, dass ein Effekt von Zucker wahrscheinlich oft abhängig von den Gesamtkalorien, die aufgenommen werden, agiert.
Welche Effekte Zucker auf die Gesundheit haben kann, damit befasst sich ein neuer Umbrella Review von April diesen Jahres. Die Forschenden fassen darin aktuell vorliegende Meta-Analysen und systematische Reviews zusammen.
Mit einbezogen wurden in diesem Umbrella Review gesundheitlichen Auswirkungen von Gesamtzucker, freiem Zucker und zugesetztem Zucker. Auffallend ist, dass sich die Forschenden in einem Großteil der verfügbaren Evidenz aus systematischen Reviews mit den Auswirkungen von zuckergesüßten Getränken (n=58) befassten. Nur wenige Meta-Analysen untersuchten die Auswirkungen von freiem (n=1) und zugesetztem Zucker (n=4). Grundlegend zeigte der Umbrella Review, dass eine höhere Zuckerzufuhr mit zahlreichen negativen gesundheitlichen Auswirkungen in Verbindung gebracht wird. Eine erhöhte Zufuhr von zuckergesüßten Getränken war u. a. mit einem erhöhten Risiko für Gicht, metabolisches Syndrom, Adipositas, Typ-2-Diabetes, koronare Herzerkrankung, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Mortalität, Bluthochdruck, Schlaganfall und Krebsinzidenz (Brustkrebs, Prostata, Leber-CA) assoziiert.
Basierend auf ihrem Umbrella Review empfehlen die Autoren die Zuckerzufuhr auf <25g/Tag zu beschränken. Das entspricht ca. 6 Teelöffeln am Tag (Huang et al., 2023).
Dabei jedoch wichtig zu wissen: Viele der gefundenen Zusammenhänge basieren auf einer geringen bzw. sehr geringen Vertrauenswürdigkeit der Evidenz. Weitere RCTs mit aussagekräftigeren Daten zum Thema wären aus Sicht der Wissenschaft wünschenswert.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass anzunehmen ist, dass Zucker der Gesundheit abträglich (Diabetes, kardiovaskuläre Erkrankungen etc.) ist, wenn die hohe Zuckeraufnahme zu einer positiven Energiebalance beiträgt. Es geht also nicht nur um die tägliche Dosis, sondern auch um die Kalorienbilanz.
Außerdem sollte bei Betrachtung von gesundheitlichen Effekten sowie beim Aussprechen von Empfehlungen für Zuckerkonsum bedacht werden, dass dafür weitere Faktoren eine Rolle spielen.
Wir sollten uns folgenden Fragen stellen:
- Wen haben wir vor uns?
- Welche Vorerkrankungen liegen vor? Wie ist der aktuelle Gesundheitszustand?
- Welche Kalorienbilanz ist vorzufinden?
- Wie aktiv ist die Person? Wie intensiv trainiert sie?
- Erfolgt der Zuckerkonsum nahe an einer Trainingseinheit? Dient der Energiebereitstellung und Regeneration?
Die Beurteilung von Zuckerkonsum für eine übergewichtige Person mit Diabetes würde sich wahrscheinlich von der für einen fitten, gesunden Sportler unterscheiden.
In dieser Hinsicht ist gerade bei (Leistungs-)Sportlern Vorsicht geboten. Empfehlungen, die in Richtung “no sugar” oder “low carb” gehen, können für eine solche Population problematisch sein. Stichwort relatives Energiedefizit (RED-S) im Sport, was sich dann wiederum auf zahlreiche wichtige physiologische Prozesse im Körper auswirken und in Problemen mit den Hormone, der Knochengesundheit oder auch der Psyche enden kann. Mehr zu RED-S findest du in diesem Blogbeitrag.
Wie in der hier folgenden Grafik ersichtlich wird, ist also der individuelle Kontext mal wieder absolut entscheidend!
Die Frage, ob Zucker wirklich krank und süchtig macht und welche Konsummengen noch als unbedenklich gelten, kann also so pauschal nicht beantwortet werden. Um das Thema aus möglichst vielen Perspektiven zu beleuchten haben wir drei Dozenten des Academy Education Team nach ihrer Meinung zum Thema gefragt:
Caro Baumgartner, Ärztin für Funktionelle Medizin:
Zucker an sich macht nicht krank – außer es wird zu viel davon konsumiert. Denn Zucker an sich ist nicht der Teufel und dient in erster Linie Energie, die vor allem unser Gehirn benötigt, aber eben nicht zu viel davon.
Leider ist der Zuckerkonsum in Deutschland sehr hoch, höher als gängige Empfehlungen. Dies kann dann dazu beitragen, dass Erkrankungen, wie z. B. eine Insulinresistenz, entstehen, welche dann bei Nichtbehandlung zu einem Typ 2 Diabetes führen können.
Der zweite wichtige Aspekt aus meiner Sicht, den man sich im Kontext der Zuckerdebatte ansehen sollte, ist das Thema Bewegung. Zucker bzw. Kohlenhydrate an sich müssen verbraucht werden. Daher kann ein (höherer) Zuckerkonsum schon auch in einer gewissen Weise kompensiert werden. Durch beispielsweise Bewegung nach Mahlzeiten – da reicht sogar schon ein schneller 15-20 Min Spaziergang (#Walkigäääng) aus, um dem Körper zu helfen, den Zucker zu verstoffwechseln und in die Zelle zu transportieren, wo er eben benötigt wird.
Sprich aus meiner Sicht: Zucker an sich macht nicht krank- ZU VIEL Zucker allerdings kann schon zu einem Problem werden.
Laura Osterhaus, M. Sc. Suchttherapie/-hilfe:
Zucker kann auf verschiedene Weisen mit einer Suchterkrankung in Verbindung stehen. Oftmals wird die Aufnahme von etwas Süßem als positiv empfunden, was das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert. Durch die Dopaminfreisetzung können positive Gefühle nach dem Verzehr von Zucker ausgelöst werden, welche in Folge zu einem verstärkten Verlangen nach weiterem Konsum führen können. Durch den Blutzuckeranstieg und die Serotoninfreisetzung wird eine vorübergehende Verbesserung der Stimmung herbeigeführt. Setzten wir also zuckerhaltige Lebensmittel als Belohnung ein, kann sich eine Gewohnheit bilden die meist schwer ist zu brechen. Manche Menschen neigen ebenfalls in emotionalen Situationen dazu vermehrt zu zuckerhaltigen Lebensmitteln zu greifen, um das wie oben beschriebene Gefühl von einer gehobeneren Stimmung herbeizuführen. Dies kann zu einem Teufelskreis führen.
Die Neurowissenschaftler um Bart Hoebel von der Princeton University haben 2002 und 2008 die Wirkung von Zucker an Ratten untersucht. Hierbei stellten diese fest, dass die Ratten ein Verhaltensmuster mit erhöhter Aufnahme, hohes Verlangen, Rückfall und ebenfalls Anzeichen von Entzugserscheinungen nachwiesen. Dies spiegelt Kriterien einer Suchtabhängigkeit wieder, was jedoch nicht mit den weitaus stärkeren Auswirkungen bei einem Drogenkonsum verglichen werden kann. Die Wissenschaft diskutiert daher noch, ob es sich um eine Zuckersucht handelt, wobei Zucker ein einzelner Faktor wäre, oder ob sich eher um eine Essstörung handelt, bei der Zucker ein Faktor von vielen wäre (Schultz, 2002; MacPherson, 2008).
Aus Suchttherapeutischer Sicht ist es wichtig zu beachten, dass der Einfluss von Zucker auf das Gehirn komplex ist und von verschiedenen Faktoren abhängt, einschließlich der Art des Zuckers, der Menge, der individuellen genetischen Veranlagung und des Gesamtkontexts der Ernährung. Daher sind die Auswirkungen von Zuckerkonsum bei jedem Menschen unterschiedlich und individuell zu betrachten.
Christian Kirchhoff, Researcher:
Bei Blick in die aktuelle Datenlage wird klar: Zucker ist ein individuelles Kontextthema!
Zuckerkonsum bei Sportlern
Sportler haben beispielsweise einen höheren Verbrauch und ihre Stoffwechselgesundheit (Insulinsensitivität) ist gut. Sie vertragen nicht nur viel mehr Zucker, den sie verbrauchen. Sie nutzen ihn auch während längerer Ausdauerevents (<90 Minuten), um mehr Energie aufnehmen zu können. Dazu wird Glukose und Fruktose in einem bestimmten Verhältnis aufgenommen (2:1). Es gibt Studien, in denen man hohe Mengen Fruktose (30%) gegeben hat und das mit und ohne Sport. Der Effekt auf die Blutfettlevel wurde durch den Sport abgedämpft, unabhängig von der Energiebilanz.
Dosisempfehlungen für Gesundheit
Die Dosis ist ein weiterer Faktor, der je nach Stoffwechselgesundheit unterschiedlich wirkt. In einigen Studien hat man bis zu 300 g Fruktose gegeben, was völlig unrealistisch für den Alltag ist. Okay sind wahrscheinlich <60 g. Ein Grundlagenpapier zum Thema schreibt, dass 50-100 g Fruktose (100-200 g Zucker) die Blutfette beeinflussen. In einer Studie, in denen täglich Cola getrunken wurde, erhöhte sich der Fettgehalt der Leber und das ohne wesentlichen Einfluss von mehr Körpergewicht. Auch hier waren es über 100 g Zucker täglich. Die Deutschen nehmen im durchschnittlich 95 g Zucker auf. 100 g Zucker oder mehr sollten es wohl nicht sein, laut aktueller Datenlage. Unter 50 g zu bleiben, was ca. einer Tafel Schokolade entspricht, scheint vernünftig für den Normalbürger.
Wichtig im Kontext der Dosis zu bedenken: Ein hoher Zuckerkonsum kann indirekt die Gesundheit beeinflussen, wenn er nährstoffreiche Lebensmittel oder Makronährstoffe verdrängt.
Die Rolle der Energiebilanz
Oft ist der negative Effekt von Zucker davon abhängig, ob er zu einem Kalorienüberschuss beiträgt. Passiert das nicht, dann sind genannte Probleme weniger wahrscheinlich. Es sind besonders die Zuckergetränke, die nicht gut sättigen und die zu einem Kalorienüberschuss beitragen können. Wissenschaftler schrieben schon vor Jahren, dass qualitativ hochwertige Evidenz keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen zugesetztem Zucker und verschiedenen gesundheitsschädlichen Auswirkungen bei normalem Verzehr, insbesondere in isokalorischen Settings, belegen.
Zucker ist also nicht inhärent schlecht. So gibt es beispielsweise Analysen, die zumindest etwas weniger als eine Tafel Schokolade die Woche sogar mit positiven Outcomes assoziieren. Die aktuellste Analyse (2023) spricht davon, dass eine hohe Zuckerzufuhr durchaus mit negativen Auswirkungen assoziiert sei (noch keine Kausalität gegeben) – die Evidenz jedoch ist jedoch von niedriger Qualität und mehr randomisierte kontrollierte Studien sind nötig.
Wie anhand aktueller Daten und verschiedener Meinungen ersichtlich wird, ist das Thema vielschichtig und die Studienlage dazu auch nicht so aussagekräftig oder qualitativ hochwertig, wie es zu wünschen wäre. Was aber feststeht: Zucker alleine ist sehr wahrscheinlich nicht der Übeltäter, sondern dient oftmals (gerade in Schlagzeilen) als Sündenbock für ein weit komplexeres und größeres Problem unserer Gesellschaft.
Es ist immer einfach, den Trends zu folgen, aber wir möchten dich dazu ermutigen, die Dinge zu hinterfragen. Studienlesen ist mehr als nur das Abstract zu überfliegen oder provozierende Headlines aufzuschnappen. Gerade als Health Professional, der Wissen an Kunden und Patienten weitergibt, ist es unserer Meinung nach wichtig, sich zu informieren und die mediale Kommunikation auch mal in Frage zu stellen. Wie du siehst, werden wissenschaftliche Aussagen leider oftmals sehr schnell, viel zu einfach und plakativ dargestellt.
DDG (o. D.). Höchstens 50 Gramm pro Tag. Fachgesellschaften sprechen Empfehlung zur Zuckerzufuhr in Deutschland aus. Abgerufen am 04.12.2023 unter https://www.ddg.info/diabetes-zeitung/hoechstens-50-gramm-pro-tag
EFSA (2022). Die Aufnahme von zugesetzten und freien Zuckern sollte so gering wie möglich sein. Abgerufen am 05.12.2023 unter https://www.efsa.europa.eu/de/news/added-and-free-sugars-should-be-low-possible#:~:text=„Gesamtzucker“
umfasst alle Zucker in,Gemüse und Milch enthalten sind Huang, Y., Chen, Z., Chen, B., Li, J., Yuan, X., Li, J., Wang, W., Dai, T., Chen, H., Wang, Y., Wang, R., Wang, P., Guo, J., Dong, Q., Liu, C., Wei, Q., Cao, D., & Liu, L.
(2023). Dietary sugar consumption and health: umbrella review. BMJ, 381.
Jeukendrup, A. (o. D.). Is sugar bad for athletes?. Abgerufen am 04.12.2023 unter https://www.mysportscience.com/post/is-sugar-bad-for-athletes
MacPherson, K. (2008). Sugar can be addictive, Princeton scientist says. Abgerufen am 27.11.2023 unter https://www.princeton.edu/news/2008/12/10/sugar-can-be-addictive-princeton-scientist-says
Schultz, S. (2002, June). Sugar on the brain: Study shows sugar dependence in rats. Denied sugar, bingeing rats suffered withdrawal. Abgerufen am 27.11.2023 unter https://pr.princeton.edu/news/02/q2/0620-hoebel.htm
Statista (2022). Pro-Kopf-Konsum von Zucker in Deutschland in den Jahren 1950/51 bis 2021/22. Abgerufen am 04.12.2023 unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/175483/umfrage/pro-kopf-verbrauch-von-zucker-in-deutschland/