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Mentale Gesundheit
16. März 2023

Motivational Interviewing – Das beste Tool für Trainer und Therapeuten?

Vanessa Heun

Probleme mit dem inneren Schweinehund? Das kennt jeder von uns. Verhaltensänderung effektiv und vor allem nachhaltig zu begleiten ist deshalb keine leichte Aufgabe. Wie kann man motivieren, ohne zu überfordern? Wie kann man anleiten, ohne zu beherrschend und einnehmend zu sein? Und besonders wichtig: wie kann man sicherstellen, dass die Motivation zur Veränderung weiterhin aus deinem Gegenüber selbst kommt und nicht nur deswegen vorhanden ist, weil der Coach mit im Boot sitzt und den Ton angibt?

Eine evidenzbasierte und gut untersuchte Methode, um Verhaltensänderung effektiv und nachhaltig zu begleiten, ist Motivational Interviewing. Dieses Tool hat zum Ziel, die Eigenmotivation für eine Verhaltensveränderung zu erhöhen – und somit dem inneren Schweinehund Futter für einen Rückfall in alte Gewohnheiten wegzunehmen.

Motivational Interviewing ist besonders hilfreich, wenn das Gegenüber einer Veränderung zwiegespalten gegenübersteht. Lohnt es sich, Verhalten A aufzugeben und durch Verhalten B zu ersetzen? Wenn doch Verhalten A so wunderbar bekannt und sicher ist und mit bestimmten Vorteilen einhergeht? Warum sollte man sich die Mühe machen, Verhalten B oder zunächst große Anstrengungen zu implementieren? Aus der eigenen Erfahrung oder aus deiner Arbeit mit Coachees und Trainees weißt du, dass es nicht immer einfach ist, sein Verhalten zu ändern, nur weil es gesünder oder schlauer wäre. Die Absicht, jemanden zu motivieren, kann auch oft das Gegenteil bewirken und eine Abwehrhaltung auslösen. Das Motivational Interviewing kann dabei helfen, diese Ambivalenz ganz individuell aufzulösen.

Besonders wichtig dabei ist, dass du ein Gespräch immer mit einer ganz bestimmten Haltung führst. Die Techniken und Prozesse des Motivational Interviewing werden nur wirksam, wenn sie mit der richtigen, personenzentrierten Haltung durchgeführt werden.

“Motivational Interviewing is a collaborative, goal-oriented style of communication with particular attention to the language of change. It is designed to strengthen personal motivation for and commitment to a specific goal by eliciting and exploring the person’s own reasons for change within an atmosphere of acceptance and compassion”

(Miller & Rollnick, 2013, S. 29).

Aber was heißt das denn jetzt genau?

Motivational Interviewing ist kollaborativ, das heißt, dass Menschen die Veränderungen im Verhalten selbst tragen und erleben müssen – du als Expert:in bist nur in einer unterstützenden Form anwesend. Solange du die Verantwortung für das Verhalten deines Gegenübers auf dich nimmst, wird kein wirklicher Fortschritt zum Tragen kommen.

Betrachte die Zusammenarbeit mit deinem Coachee immer als Zusammenarbeit zweier Experten. Der Coach hat die fachliche, methodische und didaktische Kompetenz – der Coachee kennt sich selbst und seinen Körper wie kein Zweiter. Er kennt seine Wünsche, Bedürfnisse, Ziele, Stärken und Schwächen. Motivational Interviewing begleitet den Veränderungsprozess und richtet den Fokus in der Anwendung auf das Folgen, Sortieren, Bestärken und dem zielorientiertem Anleiten. Es ist immer eine Begegnung auf Augenhöhe, keine Manipulation oder das Aufbauen einer Gegenposition!

Motivational Interviewing ist zielorientiert, das heißt, es soll die innere Zerrissenheit des Coachees aufdecken, möglichst alle Faktoren beleuchten und wenn möglich auflösen. Der Gegenüber soll sich klarer darüber werden, was er wirklich will. Soll eine, vielleicht anstrengende, Veränderung nun wirklich und mit zielstrebiger Sicherheit angegangen werden – oder ist die Veränderung doch nicht so wichtig wie vorher gedacht und es darf für diesen Moment so bleiben wie es ist? Auch eine fehlende Bereitschaft zur Veränderung muss dann akzeptiert werden, denn nochmal: Motivational Interviewing ist keine Manipulation.

Motivational Interviewing will die intrinsische Motivation, also die Eigenmotivation fördern. Dabei verfolgt es ein positives Menschenbild, das heißt, es geht davon aus, dass die Veränderung in jedem Menschen steckt, sie muss nur hervorgeholt werden. Menschen sind also nicht grundsätzlich unmotiviert und faul, man muss nur wissen, wie man das Bedürfnis nach Veränderung herauskitzeln kann.

Veränderung muss immer von innen heraus gelebt werden. Es ist weder personenzentriert noch nachhaltig, wenn der Coach von außen drängt und versucht, die Veränderung dem Coachee aufzuzwingen. Egal, ob Bewegung, Training, Schlaf oder Ernährung, der Coach wird in der Regel nicht dabei sein, wenn sich der Klient für oder gegen das Verhalten entscheidet – es ist klar, dass eine Änderung der Gewohnheiten tagtäglich eigenständig umgesetzt werden muss.

Die personenzentrierte Grundhaltung

Wie in der Einführung schon angesprochen, basiert Motivational Interviewing vor allem auf seiner personenzentrierten, kollaborativen und direktiven Haltung, die Carl Rogers auch Spirit nennt. Dieser Spirit hat sich aus der klientenzentrierten Psychotherapie entwickelt. Die Grundpfeiler sind also Partnerschaftlichkeit (P), Akzeptanz (A), Mitgefühl (C wie Compassion) und entlockendes Arbeiten, auch Evokation (E) –  kurz PACE. Nur wenn der Coach eine Haltung einnimmt, die all Aspekte des PACE vereint, wird es ein Expertengespräch auf Augenhöhe, das zu einer Veränderung einlädt.

Jetzt hast du einen guten Überblick darüber, was Motivational Interviewing ist – aber auch, was es nicht ist. Im Folgenden möchte ich dir die Grundtechniken des Motivational Interviewing noch ein bisschen näher bringen, damit du eine bessere Idee bekommst, wie du es in deine tägliche Arbeit integrieren kannst.

Die Grundtechniken

Die Grundtechniken sind deine handwerkliche Grundlage. Sie erfüllen zwar unterschiedliche Zwecke, doch ihnen allen ist gemein, dass sie dein Gegenüber dazu einladen sollen, sich auf das Gespräch einzulassen, daran teilzunehmen, sich selbst zu erkunden (Selbstexploration) und aktiv einzubringen (Selbstoffenbarung).

Das Motivational Interviewing folgt fünf Prinzipien. Davon sind vier positiv formulierte Handlungsanweisungen und ein Prinzip beschrieben, was zu vermeiden ist:

  1. Empathie zeigen: Der Coach nimmt eine klientenzentrierte, akzeptierende Haltung ein und versucht, durch aktives Zuhören die Situation aus der Sicht des Klienten zu betrachten und zu verstehen. Wichtig: es wird bedingungslos akzeptiert und kein Gegenargument eingebracht.
  2. Diskrepanz erzeugen: Hierbei wird mit Hilfe von gezielten offenen (!) Fragen direktiv vorgegangen, um dem Patienten zu helfen, Argumente für eine Änderung zu selbst entwickeln. Wenn die Argumente von deinem Gegenüber selbst hervorgebracht werden, wird er sie mit hoher Wahrscheinlichkeit auch akzeptieren. Arbeitet gemeinsam heraus, dass das momentane Verhalten im Widerspruch zu wichtigen Zielen und Vorstellungen steht. Das kann die Veränderungsbereitschaft stärken.
  3. Flexibler Umgang mit Widerstand: Ambivalenz oder Widerstand werden als normaler Teil des Veränderungsprozesses angesehen. Vermeide ein auf Konfrontation gerichtetes Vorgehen. Stattdessen bedient man sich deeskalierender Strategien – z.B. dem Reframing oder der doppelseitigen Reflexion. Mit Hilfe von aktivem Zuhören wird erneut das Finden eigener Lösungswege unterstützt.
  4. Selbstwirksamkeit stärken: Menschen erleben sich als selbstwirksam, wenn sie spüren, dass ihr Verhalten zum gewünschten Ergebnis führt. Bestärke dein Gegenüber im Verlauf der Zusammenarbeit also immer wieder und hilf ihm, den Fokus auf die bisherigen Erfolge zu richten. Das wird helfen, auch in schwierigen Phasen oder nach Rückschlägen, die Motivation aufrechtzuerhalten.
  5. Beweisführung vermeiden:Ein Coach ist ein Polizist im Verhörraum. Das Problemverhalten den Coachees mit harten Fakten und Daten aufzuzeigen, kann bewirken, dass sie in eine Abwehrhaltung gehen und das Gefühl bekommen, sich rechtfertigen zu müssen. In den meisten Fällen ist sich der Coachee diesen Dingen auch selbst schon bewusst. Fokussiere dich auf eine akzeptierende und offene Haltung und biete die gemeinsame Suche nach Lösungen an, indem du offene Fragen stellst und dein Gegenüber dazu anleitest, sich selbst mit dem Problem auseinanderzusetzen.

Zusammengefasst:

  • Zeige aufrichtiges Interesse am Klienten und seiner Situation – vor allem durch aktives Zuhören.
  • Lenke durch durch offene Fragen auf die Nachteile des momentanen Verhaltens und die Vorteile einer Veränderung („Welche Vorteile hätte es, aufzuhören?“).
  • Vermittle Akzeptanz und bestätige dein Gegenüber.
  • Fördere die selbstmotivierende Haltung des Coachees hinsichtlich Problemeinsicht, Bedenken und Veränderungsbereitschaft, indem ihr gemeinsam reflektiert und Pläne anpasst.
  • Begegne dem Coachee so, dass er spürt, dass er stets die freie Wahl hat und selbst entscheiden kann, was er möchte.

Wenn du weitere Tools lernen möchtest, die dir dabei helfen, dein Coaching noch erfolgreicher zu machen, dann komm zu uns in die Medletics Academy.


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Vanessa Heun
Vanessa Heun

Als Psychologin, die sich auf die Arbeit mit Schmerzpatienten spezialisiert hat, bringt Vanessa ein umfassendes Wissen in den Bereichen mentale Gesundheit, Resilienz, Stressmanagement und Kommunikation ein. Ihre Erkenntnisse aus dem klinischen Alltag bereichern ihr Fachgebiet mit praktischen und tiefgreifenden Einsichten.

Sein Motto: 
Christian Kirchhoff
Christian Kirchhoff

Christian ist Teil unseres Research Teams und beschäftigt sich täglich mit wissenschaftlichen Arbeiten und Studien. Er interessiert sich für das „Warum“ – also die Argumentationskette - hinter den Dingen und bereitet aktuelle Daten für Trainer, Therapeuten und Ärzte so auf, dass ihnen der Transfer von der Wissenschaft in die Praxis gelingt.

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Quellen

Miller, W. R., & Rollnick, S. (2013). Motivational Interviewing: Preparing People for Change (3rd ed.). New York: Guildford Press.

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