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Medizin
16. November 2023

Kalzium und RED-S: Wie beeinflusst ein relativer Energiemangel die Knochengesundheit?

Christian Kirchhoff

RED-S ist ein Energiedefizitsyndrom, welches mit einer einer Reihe an ungünstigen körperlichen Veränderungen einhergeht. Tausende Sportler sind aller Wahrscheinlichkeit nach betroffen. Warum du als Trainer, Therapeut oder Arzt neben Vitamin-D auch unbedingt auf genug Kalzium achten solltest und welche Zusammenhänge es zum Hormonsystem gibt, erfährst du im heutigen Beitrag.

RED-S. Was ist es überhaupt und woraus resultiert es? RED-S (Relative Energy Deficiency in Sports) steht für einen “Zustand beeinträchtigter physiologischer Funktionen, der aus einer chronisch geringen Energieverfügbarkeit” resultiert. Dem Körper bleibt zu wenig Energie übrig für Gesundheit, wichtige, aber nicht überlebensnotwendige Funktionen und den normalen Alltag. Darunter leiden dann der weibliche Zyklus, also die Hormongesundheit, die Knochengesundheit, die Immunität, die Proteinsynthese und die allgemeine Gesundheit.

Das „British Journal of Sports Medicine” definiert RED-S in einem Editorial wie folgt:

„The syndrome of RED-S refers to impaired physiological functioning caused by relative energy deficiency, and includes but is not limited to impairments of metabolic rate, menstrual function, bone health, immunity, protein synthesis, and cardiovascular health. The cause of REDs is the scenario termed “low energy availability”, where an individual’s dietary energy intake is insufficient to support the energy expenditure required for health, function, and daily living, once the cost of exercise and sporting activities is taken into account.”

Ein solcher relativer Energiemangel (relative energy deficit syndrome = RED-S), auch bekannt als relatives Energiedefizit im Sport, resultiert aus einem Übertraining (hoher kalorischer Verbrauch durch hohen Trainingsumfang) und/oder zu wenig zugeführten Kalorien – also einer negativen Kalorienbilanz (Mountjoy et al., 2014).

Folgen von RED-S

Was RED-S und seine Folgen ausmacht, beschreibt das „Sports and Human Performance Nutrition”, kurz SHPN 2023 im Detail. Das ist eine Gruppe der „Academy of Nutrition Dietetics”. Im Jahr 2005 definierte das Internationale Olympische Komitee (IOC) die „Female Athlete Triad” – die Kombination aus gestörtem Essverhalten und unregelmäßigen Menstruationszyklen. Dies führt zu einem Rückgang der Hormone wie Östrogen, was in einer geringeren Knochendichte resultieren kann.

In 2007 wurden jedoch neue Erkenntnisse veröffentlicht und das IOC erweiterte den Begriff durch RED-S. Die Hauptursache für RED-S ist eine niedrige Energieverfügbarkeit (low energy availability = LEA), was zu mehr Verletzungen, verminderter Muskelkraft und mangelnder geistiger Schärfe führen kann. Zu den Auswirkungen von RED-S gehören jedoch nicht nur Hormonstörungen, sondern auch negative Stoffwechselanpassungen und psychische Gesundheitsprobleme. Das Ungleichgewicht der Hormone – so die Autorinnen –  kann sich unter anderem auf Knochen, Herz, Schilddrüse und Verdauung auswirken.

Das wichtigste betroffene Hormon in Frauen ist Östrogen. Niedrige Werte führen zu niedrigen Knochendichtewerten und veränderter Herzfunktion, da Östrogen maßgeblich am Erhalt des Knochens beteiligt ist. Eine niedrige Knochendichte erhöht die Wahrscheinlichkeit von Frakturen aufgrund des Einflusses auf IGF-1 (insulin-like growth factor 1). Die Herzfunktion kann durch erhöhte Cholesterin- und Triglyceridwerte beeinträchtigt werden, denn auch hier wirkt sich Östrogen produktiv aus.

In Männern kann Testosteron betroffen sein. Da LEA zu Eisenmangel führen kann,  könnte das zu einer geringeren Sauerstoffzirkulation im Blutkreislauf und damit zu einer verminderten Ausdauer und Leistung führen.

RED-S ist mittlerweile auch in der allgemeinen Berichterstattung angekommen. Professor Karsten Köhler von der Technischen Universität, der sich schon lange mit RED-S beschäftigt, sprach bereits 2021 in einem Artikel davon, dass 20% – in Risikosportarten sogar bis zu 60% – der Sportler betroffen sein könnten und umreißt das Problem:

„Köhler sieht in RED-S eine unterschätzte Gefahr. Gefährdet sind besonders Athletinnen und Athleten, für die ein geringes Körpergewicht von Vorteil ist: im Triathlon oder Langstreckenlauf, in Sportarten mit Gewichtsklassen wie Rudern und Boxen oder in denen Ästhetik besonders gefragt ist. Die Wurzeln von RED-S liegen oft in Optimierungswahn, Leistungsdruck und dem Nacheifern falscher Vorbilder. Bei Lea Sophie Keim waren es fragwürdige Körperideale, denen sie folgte, begünstigt durch gefährliche Scheinbilder aus sozialen Medien. “Du musst schlank und dünn sein und drahtig aussehen, dann bist du erfolgreich und austrainiert und fit. Dann ist man leistungsfähig,” sagt Keim. Dieses Credo ist so gefährlich wie falsch.”

Energieverfügbarkeit im Sport

Wir sollten uns also merken, dass RED-S aus einer chronisch geringeren Energieverfügbarkeit resultiert. Die Deutsche Gesellschaft definiert den Begriff der Energieverfügbarkeit (EV) wie folgt:

„Energieverfügbarkeit  = Energiezufuhr – Energieverbrauch im Training. Ausgedrückt wird die EV in kcal/kg fettfreier Masse (FFM).

„Das Konzept der Energieverfügbarkeit ist vor allem in der Sporternährung verbreitet und bewertet weniger die klassische Energiebilanz, sondern betrachtet vielmehr die zugeführte Energiemenge abzüglich der durch Sport verbrauchten Energie. Daraus resultiert die Energiemenge, die für den Organismus verfügbar ist, um seine grundlegenden Funktionen aufrechtzuerhalten.”

Nach Prof. Loucks liegt der Threshold für eine niedrige Energieverfügbarkeit bei 30 kcal/kg/fettreie Masse (Areta et al., 2017). An oder unter diesem Wert sind die Chancen für einen negativen Effekt auf Knochen, Hormone und Zyklus groß (Dipla et al., 2021).

Forschende warnen schon länger davor, dass eine dauerhaft niedrige Energieverfügbarkeit Hormone wie Östrogen reduzieren könnte und andere Hormone wie Cortisol erhöhen kann.

„After accounting for methodological differences, low EA seems to cause the following hormonal alterations in exercising women: decreased estradiol, decreased progesterone, decreased leptin, increased ghrelin, increased adiponectin, increased peptide YY (PYY), decreased insulin, increased cortisol, decreased total triiodothyronine (T3) and free T3, decreased free thyroxine (T4), increased growth hormone (GH) (with increased growth hormone resistance), and decreased insulin-like growth factor 1 (IGF-1) [27]. GH/IGF-1 dysregulation may play a role in stunted linear growth [34]. How changes in each hormone, both in isolation and in concert with other changes, affects athletic health and performance remains to be fully elucidated.” – Holtzman & Ackerman, 2021

Und das bringt uns auch schon zum Kalzium und wie Energiemangel und Kalziumstoffwechsel verbunden sein können. Gemäß der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bedarf es täglich 1000 mg Kalzium für Frauen und Männer. Damit sollten die Meisten auch gut versorgt sein. Doch dann, wenn RED-S zuschlägt, sollte besonders auf die Ernährung und auch auf Kalzium geachtet werden. Wünschenswert wäre natürlich, sofort die Kalorien anzupassen.

Warum du auf deine Kalziumzufuhr achten solltest

Kalzium übernimmt zahlreiche Funktionen im Körper. Diese Funktionen betreffen Blutgerinnung, Knochenmatrix, Neurotransmitterfreisetzung und Muskelkontraktion (Ghazzawi et al., 2023).

Abb.1  Ali Ghazzawi et al. (2023)

Im Hinblick auf Sportler ist auch die Knochengesundheit für ihre Karriere und ihr späteres Leben essentiell. Kalzium unterstützt die Knochenmineralisierung in Kombination mit Vitamin-D.

Aber warum ist die Energieaufnahme und damit RED-S mit Kalzium verbunden und im Sport höchst interessant? Die Kombination aus geringer Energieverfügbarkeit und zu wenig Kalzium in der Sportlerernährung setzen dem Knochen besonders zu. Treffen Zyklusprobleme (als Gesundheitsmarker) auf zu wenig Kalzium ist das eine unheilvolle Kombination.

”The possibility of stress fracture and low bone-mineral density is elevated by low available levels of energy. In certain cases, such as female athletes, insufficient calcium intake combined with menstrual dysfunction increases the risk ratio” –  Ghazzawi et al., 2023

Ein Symptom des RED-S kann eine Form der Amenorrhö (das Ausbleiben der Regel) sein. Die Hormone oder die Kommunikation der beteiligten Organe sind dann schon betroffen. Eine geringe Energieverügbarkeit wirkt im schlimmsten Fall auf Östrogen und Östrogen wiederum auf die Knochen. Östrogen beeinflusst wahrscheinlich die Kalziumaufnahme im Darm. Wirtschaftet der Energiemangel nun Zyklus, Östrogen und damit unseren Kalziumstoffwechsel herunter, wird dem Knochen weiterhin negativ zugesetzt (Shufelt et al., 2017). Da braucht es erst recht genug Kalzium.

Abb.2 Deldicque et al (2015)

Dauerhaft einem Energiemangel ausgesetzt, kann das die Knochengesundheit beeinträchtigen, da Östrogen und Knochengesundheit eng verbunden sind. Östrogen wirkt auf die Knochenzellen. Östrogen wirkt positiv auf Osteoblasten, hemmt Osteoklasten und fördert die Kollagensynthese. Das wird anschaulich von Sarah Feigl im Papier „Hormone und Knochenstoffwechsel“ aufgearbeitet.

Forschende empfehlen Amenorrhoe-Betroffenen bis zu 500 mg Kalzium zusätzlich für ihre Kalizumbalance. Dieser höhere Bedarf könnte mit geringeren Östrogenleveln zusammenhängen (Shufelt et al., 2017).

Abb.3 Deldicque et al (2015)

Eine entscheidende Frage ist damit auch, wie es während des RED-S um den Zyklus steht als Marker für die Hormongesundheit. Wenn Athletinnen, die von einer Amenorrhoe betroffen sind, bis zu 500 mg mehr Kalzium täglich benötigen, wären das also insgesamt bis zu 1500 mg Kalzium (Deldicque & Francaux, 2015). Und die Kalziumversorgung in Deutschland ist eh schon für einen Teil der Menschen unzureichend. Daten der Nemonit-Studie zeigen, dass im Mittel bei den Männern 897 mg/Tag erreicht werden, bei den Frauen 809 mg/Tag.

Experten sind sich jedoch größtenteils einig, dass die Energieverfügbarkeit neben den Mikronährstoffen unabdinglich ist, wenn man sich um seine Knochengesundheit sorgt. Mehr zum Thema REDS in all seinen Facetten, zum neuen IOC Update dazu und wie du als Trainer, Therapeut oder Arzt das RED-S Risiko deiner Athleten und Patienten bestimmen kannst, erfährst du in diesem Blogbeitrag.

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Christian ist Teil unseres Research Teams und beschäftigt sich täglich mit wissenschaftlichen Arbeiten und Studien. Er interessiert sich für das „Warum“ – also die Argumentationskette - hinter den Dingen und bereitet aktuelle Daten für Trainer, Therapeuten und Ärzte so auf, dass ihnen der Transfer von der Wissenschaft in die Praxis gelingt.

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Quellen

Deldicque L, Francaux M. Recommendations for Healthy Nutrition in Female Endurance Runners: An Update. Front Nutr. 2015 May 26;2:17. doi: 10.3389/fnut.2015.00017. PMID: 26075206; PMCID: PMC4443719.

Dipla K, Kraemer RR, Constantini NW, Hackney AC. Relative energy deficiency in sports (RED-S): elucidation of endocrine changes affecting the health of males and females. Hormones (Athens). 2021 Mar;20(1):35-47. doi: 10.1007/s42000-020-00214-w. Epub 2020 Jun 17. PMID: 32557402.

Ghazzawi HA, Hussain MA, Raziq KM, Alsendi KK, Alaamer RO, Jaradat M, Alobaidi S, Al Aqili R, Trabelsi K, Jahrami H. Exploring the Relationship between Micronutrients and Athletic Performance: A Comprehensive Scientific Systematic Review of the Literature in Sports Medicine. Sports (Basel). 2023 May 24;11(6):109. doi: 10.3390/sports11060109. PMID: 37368559; PMCID: PMC10302780.

Holtzman B, Ackerman KE. Recommendations and Nutritional Considerations for Female Athletes: Health and Performance. Sports Med. 2021 Sep;51(Suppl 1):43-57. doi: 10.1007/s40279-021-01508-8. Epub 2021 Sep 13. PMID: 34515972; PMCID: PMC8566643.

Institut für Ernärhungsverhalten, Max-Rubner-Institut (2007). Längsschnittstudie NEMONIT. https://www.mri.bund.de/de/institute/ernaehrungsverhalten/forschungsprojekte/nemonit/. Zuletzt abgerufen am 14.11.2023.

Shufelt CL, Torbati T, Dutra E. Hypothalamic Amenorrhea and the Long-Term Health Consequences. Semin Reprod Med. 2017 May;35(3):256-262. doi: 10.1055/s-0037-1603581. Epub 2017 Jun 28. PMID: 28658709; PMCID: PMC6374026.

Sona C. D., Fisher, M, Relative energy deficiency in sport (RED – S), Current Problems in Pediatric and Adolescent Health Care, Volume 52, Issue 8, 2022. https://doi.org/10.1016/j.cppeds.2022.101242.

Mountjoy M, Sundgot-Borgen JK, Burke LM, Ackerman KE, Blauwet C, Constantini N, Lebrun C, Lundy B, Melin AK, Meyer NL, Sherman RT, Tenforde AS, Klungland Torstveit M, Budgett R. IOC consensus statement on relative energy deficiency in sport (RED-S): 2018 update. Br J Sports Med. 2018 Jun;52(11):687-697. doi: 10.1136/bjsports-2018-099193. PMID: 29773536.

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