Sind Süßstoffe wirklich krebserregend?
”Höheres Krebsrisiko bei hohem Süßstoffkonsum” „Studie enthüllt: Erhöhtes Krebsrisiko durch diese Süßstoffe!“ Immer wieder sind solche Schlagzeilen in den Medien zu lesen. Doch wie sieht die aktuelle Studienlage dazu aus? In diesem Blog heißt es Schlagzeilen vs. Wissenschaft!
Was sind Süßstoffe?
Süßstoffe gehören zusammen mit den Zuckeraustauschstoffen zur Gruppe der Süßungsmittel. Diese sind chemisch hergestellte oder zum Teil auch pflanzliche Extrakte, die wie Zucker schmecken – jedoch eine deutlich potentere Süßungskraft und eine zu vernachlässigende Kalorienbilanz aufweisen.
Süßstoff krebserregend? – wie der Mythos entstanden ist
Begonnen hat die Debatte des Zusammenhangs zwischen Süßstoffen und Krebs wahrscheinlich mit dem Süßstoff Aspartam. Darüber wurde 1996 eine Studie veröffentlicht, die anschließend große mediale Aufmerksamkeit bekam und so in der Bevölkerung Unsicherheit und eine kritische Einstellung gegenüber Süßstoffen auslöste.
Der Psychiater und Neuropathologe John Olney griff für seine Studie auf Daten des Nationalen Krebsinstitutes der USA zurück, die zeigten, dass zur selben Zeit als der Süßstoff Aspartam marktüblich wurde, die Rate an Gehirntumoren anstieg. Daraufhin kam der Forscher in seiner Studie zu dem Schluss, dass Aspartam zur Entstehung von Krebs beiträgt. Aus Korrelation wurde Kausalität, was, wie sich dann herausstellte, ein ökologischer Fehlschluss war. Das bedeutet nichts anderes als eine fehlerhafte Schlussfolgerung von beobachteten Beziehungen.
Definition: Bei der Korrelation stehen zwei Ereignisse in Beziehung zueinander, ohne dass eines davon zwingend die Ursache für das andere ist. Bei der Kausalität hängen ebenfalls zwei Ereignisse zusammen, wobei das eine das andere verursacht. Eine Veränderung des einen führt zu einer Veränderung des anderen, dies wird auch Ursache-Wirkungs-Beziehung genannt.
Die Biochemie hinter Aspartam
In den Schlagzeilen wird Aspartam immer wieder als „süßes Gift“ betitelt. Um zu verstehen, was es damit auf sich hat und wie „giftig“ der Süßstoff wirklich ist, machen wir einen kurzen Exkurs in die Biochemie. Aspartam besteht aus den zwei Aminosäuren Asparaginsäure und Phenylalanin. Es gibt einen sehr kleinen Anteil an Menschen, die Probleme mit Phenylalanin haben, da sie an einer Phenylketonurie leiden (= Erkrankung, die den Abbau der Aminosäure Phenylalanin verhindert). Für diese Menschen ist dann jedoch nicht nur der Konsum von Aspartam bedenklich, sondern auch von zahlreichen anderen Lebensmitteln wie z. B. Fleisch oder verschiedene Gemüsesorten, die diese Aminosäure ebenfalls enthalten.
Ein weiterer Bestandteil von Aspartam, der in diesem Kontext öfters aufgegriffen wird, ist das enthaltene Methanol. Dieses kann allerdings erst bei einer viel zu hohen Dosis giftig sein. Es gilt also wie so oft: “Die Dosis macht das Gift”
„Neue Studie enthüllt: Erhöhtes Krebsrisiko durch diese Süßstoffe!“ – Was ist wirklich dran?
Erst neulich sorgte dann erneut eine Studie zum Thema für Aufmerksamkeit. Glaubt man der Darstellung in den Medien, dann werden laut der Beobachtungsstudie von Debras et al. (2022) Süßstoffe mit einem erhöhten Krebsrisiko assoziiert.
Sieht man sich die Studie jedoch genauer an und betrachtet nicht nur den Titel und die Conclusion, entdeckt man einige Auffälligkeiten.
Zuerst ist zu erwähnen, dass es sich dabei um eine Beobachtungsstudie, also um eine alleinstehende Studie und nicht etwa um einen Review der aktuellen Datenlage, handelt, weshalb diese nur als ein Puzzlestück des Gesamtbildes betrachtet werden sollte. Zur Einschätzung des aktuellen Wissenstands und zur Bildung einer Meinung ist es sehr wichtig, sich den gesamten Body of Evidence der letzten Jahre anzusehen.
Bei genauerer Betrachtung der Daten und Ergebnisse zu den einzelnen untersuchten Süßstoffen fällt dann auch auf, dass zwischen Sucralose und Krebsrisiko keine signifikante Beziehung gefunden werden konnte. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Studie perfekt aufgebaut wurde, könnte man also nicht, wie es etwa in der Conclusion steht, sagen, dass Süßstoffe allgemein, was Sucralose miteinschließen würde, krebserregend sind.
Basierend auf der medialen Darstellung und der Information aus der Conclusion würde man nun denken, dass Menschen die viel Süßstoff konsumieren auch ein höheres Risiko haben an Krebs zu erkranken. Bei Sichtung der Daten wird allerdings ersichtlich, dass das Risiko an Krebs zu erkranken in der Low Dose Consumer Gruppe höher war als in der High Dose Consumer Gruppe. Das bedeutet, dass diejenigen die wenig Süßstoff konsumiert haben, ein höheres Risiko haben an Krebs zu erkranken als die, die viel Süßstoff konsumieren. Gemessen wurde dies anhand der Hazard Ratio, die zwischen den drei Gruppen (Non-Consumer, Low-Consumer, High-Consumer) ermittelt wurde und in der Low Dose Consumer Gruppe höher war.
Definition: Die Hazard Ratio (HR) gibt in diesem Beispiel an, um wie viel die Krebsrisikorate der einen Gruppe höher ist im Vergleich zur anderen Gruppe.Eine Hazard Ratio von 1 entspricht einer gleichbleibenden Wahrscheinlichkeit des Risikos bei den Gruppen, die Süßstoffe konsumiert haben im Vergleich zur Kontrollgruppe.Bei 1,3 wäre ein Anstieg des Risikos um 30% aufgefallen und bei 0,7 ein abfallendes Risiko etc.
Ein weiterer Punkt, der in der Darstellung von Studien in der Berichterstattung häufig verwechselt wird, ist das relative versus absolute Risiko. Meistens wird in Artikeln oder Blogbeiträgen vom relativen Risiko gesprochen.
An der Stelle ein Beispiel: Gehen wir von einem 5%igen Krebsrisiko durch alle Krebsarten aus. Wenn dann in einer Studie festgestellt wird, dass etwas zu einer relativen Erhöhung des Krebsrisikos um 10% führt, würde das nicht bedeuten, dass sich das Krebsrisiko von 5% auf 15% erhöhen würde, sondern wir hätten eine 10%ige Erhöhung der 5%, was zu einem Krebsrisiko von 5,5% führen würde.
In einer Schlagzeile hört es sich natürlich besser an zu sagen, das Krebsrisiko wird um 10% erhöht als zu sagen, dass das Risiko von 5 auf 5,5% ansteigt. Man sollte also immer im Hinterkopf behalten, dass Medien versuchen möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren und dass es einen Unterschied zwischen relativen und absoluten Risiken gibt!
Zur abschließenden Betrachtung der Studie schauen wir uns noch die Meinung eines Experten in diesem Gebiet an: Dr. Jones vom Institut of Cancer Research beurteilt die Ergebnisse der dieser Studie so, dass er die Dosis/Wirkungs-Beziehung bzw. die Reaktion auf die Gabe von Süßstoffen als nicht wirklich stark betitelt.
Solltest du Süßstoffe nun meiden oder nicht?
Sieht man sich den gesamten Body of Evidence genauer an – schau dir dazu gerne das YouTube Video an, welches noch mehr Studien und Daten zum Thema enthält – kann man davon ausgehen, dass nach derzeitigem Wissensstand bei der Einhaltung des ADI-Werts keine Hinweise auf eine karzinogene Wirkung von Süßstoffen gibt.
Definition: Der ADI-Wert, genannt auch Acceptable Daily Intake, beschreibt die zulässige tägliche Aufnahmemenge eines Stoffes in Lebensmitteln oder Getränken, die täglich konsumiert werden kann, ohne dass sie ein merkliches Risiko für die Gesundheit birgt.
Auch die europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) stuft 40 mg Aspartam pro kg Körpergewicht als unbedenklich ein. Demnach könnte ein 80-kg-Mensch bis zu 4-5 Liter eines Light-Softgetränks mit Aspartam trinken.
Da ein durchschnittlicher Konsument lange nicht so viel davon zu sich nimmt, kann festgehalten werden, dass die meisten sowieso deutlich unter dieser unbedenklichen Verzehrempfehlung liegen. Die Deutsche Diabetes Gesellschaft bezieht sich in ihren Empfehlungen zu Süßstoffkonsum ebenfalls auf diesen ADI-Wert.
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In folgendem Youtube-Video findest du alle Informationen noch detaillierter:
Debras, Charlotte et al. (2022). Artificial sweeteners and cancer risk: Results from the NutriNet-Sante ́ population-based cohort study. PLoS MEDICINE, 19(3).
European Food Safety Authority. (o.J.). ADI, unter: https://www.efsa.europa.eu/de/glossary/adi
Haighton, L.A., Roberts, A.S., Jonaitis, T.S., & Lynch, B. (2019). Evaluation of aspartame cancer epidemiology studies based on quality appraisal criteria. Regulatory Toxicology and Pharmacology, 103, 352-362.
Magnuson, B.A., Roberts, A.S., & Nestmann, E.R. (2017). Critical review of the current literature on the safety of sucralose. Food and chemical toxicology : an international journal published for the British Industrial Biological Research Association, 106, 324-355 .
Olney, J. W., Farber, N. B., Spitznagel, E., & Robins, L. N. (1996). Increasing brain tumor rates: is there a link to aspartame?. Journal of neuropathology and experimental neurology, 55(11), 1115–1123.
Skurk, T. et al. (2021): Empfehlungen zur Ernährung von Personen mit Typ-2-Diabetes mellitus. Diabetologie und Stoffwechsel. Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft, 16, 255-289.